Selbstständigkeit einzuschätzen, darum geht es im Grunde immer in der Pflegebegutachtung. Eine besondere Form der Selbstständigkeit rückt in Modul 5 in den Fokus. Hier geht es darum, ob der Antragsteller in der Lage ist, krankheitsbedingte Anforderungen (z. B. Anziehen von Kompressionsstrümpfen, Fahrten zu Arztbesuchen oder zu Therapeuten) außerhalb der Wohnumgebung selbständig zu bewältigen oder ob er dabei die Unterstützung einer anderen Person braucht.
Erfasst werden dabei ärztlich angeordnete Maßnahmen, die für mindestens sechs Monate erforderlich sind, und zwar nur in dem Umfang, in dem eine andere Person unterstützend tätig werden muss. Ganz entscheidend ist also auch in diesem Modul, wie viel Unterstützung die pflegebedürftige Person von anderen benötigt.
Ein Beispiel
Herr Müller muss 2 x täglich Medikamente einnehmen. Er ist in der Lage, die Tabletten aus der Tagesbox selbst herauszunehmen. Seine Tochter richtet die Tabletten dafür einmal täglich. Erfasst wird hier der Umfang der Unterstützung durch Dritte, d. h. die Unterstützung durch die Tochter im Umfang von 1x täglich Richten der Medikamente.
Gut zu wissen
In Modul 5 geht es um den Umfang der Unterstützung durch andere Personen, um krankheits- und therapiebedingte Anforderungen zu bewältigen. Dabei spielt es keine Rolle, ob diese anderen Personen Pflegekräfte oder etwa Angehörige (wie im Beispiel die Tochter von Herrn Müller) sind.
Wichtig: In den Kriterien von Modul 5 werden nur ärztlich angeordnete Maßnahmen berücksichtigt, die voraussichtlich für mindestens 6 Monate erforderlich sind. Erhoben werden bei der Begutachtung aber alle Maßnahmen.
Ein wichtiges Modul für die Gesundheit
Der in diesem Modul berücksichtigte Umgang mit krankheits- und therapiebedingten Anforderungen hat großen Einfluss auf die Pflegebedürftigkeit. Allerdings geht es hier nicht nur um eine korrekte Einordnung in den passenden Pflegegrad. Die therapiekonforme Anwendung von Medikamenten und körpernahen Hilfsmitteln sorgt dafür, dass eine Verschlimmerung der Erkrankung vermieden wird.
Pflegebedürftigkeit errechnen
Punkteverteilung im Modul 5: ‚Umgang mit und selbständige Bewältigung von krankheits- und therapiebedingten Anforderungen und Belastungen‘. Der Pflegegrad wird errechnet. In jedem Modul werden dazu Punkte vergeben. Von den insgesamt maximal erreichbaren 100 gewichteten Punkten für den Pflegegrad können im Modul 5 maximal 20 Punkte erreicht werden.
Im fünften Modul werden Fähigkeiten (in der untenstehenden Tabelle als ‚Kriterien in Bezug auf‘ oder ‚Kriterien‘ bezeichnet) bepunktet. Hierbei steht im Fokus, ob die begutachtete Person auf Unterstützung von außen angewiesen ist. Diese Fähigkeiten werden dabei anhand der ‚Anzahl der Maßnahmen‘ bzw. der Häufigkeit und dem Grad der Selbstständigkeit gewertet.
Doch wie ist die Skala genau zu verstehen?
Hier eine Erläuterung: Zu bewerten ist, ob die Person die jeweilige Aktivität praktisch durchführen kann. Ist dies nicht der Fall, wird die Häufigkeit der erforderlichen Hilfe durch andere Personen dokumentiert (Anzahl pro Tag/pro Woche/pro Monat).
Zu jedem Kriterium ist nur ein Eintrag möglich: Entfällt (wird nicht benötigt) oder selbständig (wird benötigt und kann selbstständig durchgeführt werden) oder Häufigkeit der Hilfe mit einer vollen Zahl pro Tag, pro Woche oder pro Monat (wird benötigt und braucht Unterstützung in der angegeben Anzahl).
Korrekte Berechnung für Modul 5
In Modul 5 geht es also darum, wie oft bestimmte Maßnahmen für den Antragsteller notwendig sind und wie oft dabei Hilfe benötigt wird – täglich, wöchentlich oder monatlich. Da der Aufwand je nach Krankheit und Therapie unterschiedlich ist, ist die Punktvergabe hier etwas komplexer. Wie die Punkte in Modul 5 – aufgedröselt nach Kriterien – vergeben werden, erfahren Sie im Beitrag zur korrekten Punkteberechnung in Modul 5.
Die Bewertungskriterien im Alltag
Kriterien in Bezug auf Medikation, Injektionen, Versorgung intravenöser Zugänge, Absaugen und Sauerstoffabgabe, Einreibungen oder Kälte- und Wärmeanwendungen, Messung und Deutung von Körperzuständen, Körpernahe Hilfsmittel
Diese ersten sieben Kriterien aus Modul 5 erfassen, wie oft täglich pflegerische Maßnahmen notwendig sind. Jede Maßnahme, die regelmäßig durchgeführt werden muss, wird gezählt. Danach wird ein Durchschnittswert pro Tag berechnet, um die Punktzahl zu bestimmen.
Und so wird gerechnet:
- 5.1 Medikation
Beispiel: Eine Person mit Herzinsuffizienz muss morgens, mittags und abends Tabletten nehmen, kann dies aber nicht selbstständig tun. Eine Pflegekraft oder ein Angehöriger gibt die Medikamente. Das zählt als 3 Maßnahmen pro Tag. - 5.2 Injektionen
Beispiel: Ein Diabetiker benötigt dreimal täglich eine Insulininjektion, die von einer Pflegekraft oder einem Angehörigen verabreicht wird. Das zählt als 3 Maßnahmen pro Tag.
Anderes Beispiel: Eine Person bekommt einmal pro Tag eine Thrombosespritze (z. B. Heparin) nach einer Operation. Das zählt als 1 Maßnahme pro Tag. - 5.3 Versorgung intravenöser Zugänge
Beispiel: Ein Krebspatient bekommt über einen venösen Port einmal täglich eine Infusion mit Medikamenten, die von einer Pflegekraft verabreicht wird. Das zählt als 1 Maßnahme pro Tag. - 5.4 Absaugen und Sauerstoffabgabe
Beispiel: Ein Patient mit einer chronischen Lungenerkrankung hat einen Luftröhrenschnitt (Tracheostoma) und muss fünfmal täglich abgesaugt werden, da er den Schleim nicht selbst abhusten kann. Das zählt als 5 Maßnahmen pro Tag. - 5.5 Einreibungen oder Kälte- und Wärmeanwendungen
Beispiel: Eine Person mit starken Rückenschmerzen bekommt morgens und abends eine Wärmeanwendung mit einem Heizkissen oder eine Wärmesalbe wird aufgetragen. Das zählt als 2 Maßnahmen pro Tag.
Anderes Beispiel: Ein Patient mit Arthritis erhält dreimal täglich eine Kühlkompresse zur Linderung der Schmerzen. Das zählt als 3 Maßnahmen pro Tag. - 5.6 Messungen und Deutung von Körperzuständen
Beispiel: Eine Pflegekraft misst bei einem Diabetiker viermal täglich den Blutzucker und entscheidet, ob eine zusätzliche Insulingabe nötig ist. Das zählt als 4 Maßnahmen pro Tag.
Kriterien in Bezug auf Verbandwechsel und Wundversorgung, Versorgung mit Stoma, Regelmäßige Einmalkatheterisierung und Nutzung von Abführmethoden, Therapiemaßnahmen in häuslicher Umgebung
Die Kriterien 5.8 bis 5.11 aus Modul 5 erfassen, wie oft bestimmte pflegerische Maßnahmen regelmäßig durchgeführt werden müssen. Jede Maßnahme wird gezählt, und am Ende wird ein Durchschnittswert pro Tag berechnet, um die Punktzahl zu bestimmen.
Und so wird gerechnet:
- 5.8 Verbandwechsel und Wundversorgung
Beispiel: Ein Patient mit einer großen OP-Wunde benötigt morgens und abends einen neuen Verband. Das zählt als 2 Maßnahmen pro Tag. - 5.9 Versorgung mit Stoma
Beispiel: Ein Patient mit einem künstlichen Darmausgang (Stoma) benötigt zweimal täglich eine Reinigung und einen Wechsel der Versorgung. Das zählt als 2 Maßnahmen pro Tag. - 5.10 Regelmäßige Einmalkathetisierung und Nutzung von Abführmethoden
Beispiel: Eine Person mit Blasenentleerungsstörungen benötigt viermal täglich eine Einmalkatheterisierung, da sie die Blase nicht eigenständig entleeren kann. Das zählt als 4 Maßnahmen pro Tag.
Weiteres Beispiel: Eine Person mit einer Darmträgheit benötigt alle zwei Tage eine digitale Stimulation oder eine manuelle Darmentleerung durch eine Pflegekraft. Das zählt als 0,5 Maßnahmen pro Tag. - 5.11 Therapiemaßnahmen in häuslicher Umgebung
Beispiel: Eine Person mit einer Schluckstörung bekommt fünfmal pro Woche Logopädie zu Hause. Das zählt als 5 Maßnahmen pro Woche (umgerechnet ≈ 0,71 Maßnahmen pro Tag).
Kriterium mit Bezug auf zeit- und technikintensive Maßnahmen in häuslicher Umgebung
Dieses Kriterium erfasst Maßnahmen, die regelmäßig durchgeführt werden müssen und entweder besonders viel Zeit in Anspruch nehmen oder spezielle technische Hilfsmittel erfordern. Die Besonderheit: Solche Maßnahmen sind oft lebensnotwendig und erfordern eine hohe pflegerische Kompetenz.
Und so wird gerechnet:
- 5.12 Zeit- und technikintensive Maßnahmen in häuslicher Umgebung
Beispiel: Invasive Beatmung Ein Patient mit einer schweren neuromuskulären Erkrankung ist rund um die Uhr auf ein Beatmungsgerät angewiesen. Eine Pflegekraft oder ein Angehöriger muss das Gerät regelmäßig überprüfen, Schleim absaugen und den Beatmungszugang pflegen. Das zählt als tägliche Maßnahme – bis zu 60 Punkte möglich.
Weiteres Beispiel: Versorgung von Wunden mit Vakuumtherapie (VAC-Therapie) Ein Patient mit einer großflächigen, schlecht heilenden Wunde wird mit einer speziellen Vakuumpumpe behandelt, die permanent Sekret absaugt und die Wunde mit negativem Druck unterstützt. Das System muss täglich überwacht und regelmäßig gewechselt werden. Das zählt als regelmäßige Maßnahme – hohe Punktzahl möglich.
Arztbesuche, Besuche anderer medizinischer oder therapeutischer Einrichtungen
Diese Kriterien erfassen, wie oft eine pflegebedürftige Person Arztbesuche oder medizinische bzw. therapeutische Behandlungen außerhalb der eigenen Wohnung benötigt. Berücksichtigt werden sowohl die Häufigkeit als auch den zeitlichen Umfang der Besuche.
- 5.13 Arztbesuche
Beispiel: Eine Person mit einer chronischen Herzerkrankung muss einmal pro Woche zum Kardiologen zur Kontrolle. Das zählt als 1 Maßnahme pro Woche. - 5.14 Besuch anderer medizinischer oder therapeutischer Einrichtungen (bis zu drei Stunden)
Beispiel 1: Eine Person mit neurologischen Einschränkungen besucht dreimal wöchentlich für jeweils zwei Stunden eine Ergotherapie zur Förderung der Beweglichkeit und Koordination. Das zählt als 3 Maßnahmen pro Woche.
Beispiel 2: Ein Pflegebedürftiger mit starken Rückenschmerzen erhält einmal pro Woche eine einstündige Physiotherapie in einer Praxis. Das zählt als 1 Maßnahme pro Woche. - 5.15 Zeitlich ausgedehnte Besuche anderer medizinischer oder therapeutischer Einrichtungen (länger als drei Stunden)
Beispiel 1: Ein Schlaganfallpatient nimmt zweimal pro Woche an einer vierstündigen Rehabilitationsmaßnahme in einer Tagesklinik teil. Das zählt als 2 Maßnahmen pro Woche.
Beispiel 2: Ein Pflegebedürftiger mit schwerer Depression verbringt zweimal monatlich jeweils vier Stunden in einer psychiatrischen Tagesklinik zur Behandlung. Das zählt als 2 Maßnahmen pro Monat.
Kriterium mit Bezug auf Einhalten einer Diät und anderer krankheits- oder therapiebedingter Verhaltensvorschriften
Im letzten Kriterium dieses Moduls geht es um die Frage, inwieweit eine pflegebedürftige Person eigenständig spezielle Ernährungs- oder Verhaltensregeln befolgen kann, die aufgrund einer Krankheit oder Therapie notwendig sind. Dazu gehören unter anderem spezielle Diäten oder das Einhalten bestimmter Bewegungs- oder Hygieneregeln.
Wichtig: Hier geht es um die Fähigkeit, ärztlich angeordnete Diäten sowie Vorschriften, die sich auf vitale Funktionen (insbesondere Atmung und Herzkreislauffunktion) beziehen, einzuhalten. Es geht nicht um die Vorbereitung oder Durchführung einer Verhaltensvorschrift oder Diät. Ausschlaggebend ist stattdessen, ob die Person mental in der Lage ist, die Notwendigkeit zu erkennen.
Und so wird gerechnet:
- 5.16 Einhaltung einer Diät und anderer krankheits- oder therapiebedingter Verhaltensvorschriften
Beispiel 1: Diabetes-Diät Ein Patient mit Diabetes mellitus muss eine strenge kohlenhydratreduzierte Ernährung einhalten, um gefährliche Blutzuckerschwankungen zu vermeiden. Der Patient benötigt im Regelfall Anleitung und Beaufsichtigung zur Einhaltung dieser Ernährungsweise. Das Bereitstellen der Diät reicht nicht aus. Stattdessen muss mehrmals täglich von einer Pflegekraft oder einem Angehörigen die richtige Ernährungsweise überwacht bzw. kontrolliert werden. Überwiegend unselbstständig → 2 Punkte
Missverständnisse im Modul 5 Krankheits- und therapiebedingte Anforderungen
Wer unterstützt alles im Alltag?
Modul 5 eröffnet die große Chance, erforderlichen Unterstützungsbedarf angemessen bei der Ermittlung des Pflegegrades einzubeziehen. Berücksichtigt werden sollte in jedem Fall, wie häufig von pflegenden Angehörigen geholfen wird, aber auch, welche Hilfeleistungen von Nachbarn oder Bekannten und welche Hilfeleistungen von professionellen Pflegekräften übernommen werden.
Damit das gelingt, sollten folgende häufige Missverständnisse vermieden werden. Denn sie können dazu führen, dass die Bewertung niedriger ausfällt, als sie eigentlich sollte.
- Selbstständigkeit wird überschätzt
- Viele Pflegebedürftige berichten bei der Begutachtung, dass sie ‚alles alleine schaffen‘, obwohl sie in Wirklichkeit Erinnerung, Anleitung oder Hilfe benötigen.
- Beispiel: Eine Person nimmt ihre Medikamente nur zuverlässig ein, wenn sie daran erinnert wird – das zählt als Hilfebedarf, auch wenn sie die Tabletten selbst aus dem Blister nimmt.
- Tipp: Genau beschreiben, welche Unterstützung regelmäßig notwendig ist, auch wenn sie nur durch Erinnern oder Motivieren erfolgt.
- Einmalige oder seltene Unterstützung wird unterschätzt
- Häufig wird nur der tägliche Pflegeaufwand betrachtet, aber auch seltener erforderliche Hilfe zählt.
- Beispiel: Eine Person benötigt Hilfe bei Arztbesuchen oder der Organisation von Therapien – auch wenn das nur 1 bis 2 Mal pro Woche vorkommt, wird es in die Bewertung einbezogen.
- Die Bedeutung von Anleitung und Beaufsichtigung wird unterschätzt
- Selbst wenn keine körperliche Hilfe nötig ist, kann Anleitung oder Überwachung einen erheblichen Betreuungsaufwand bedeuten.
- Beispiel: Eine Person mit Demenz vergisst regelmäßig, ihre Medikamente zu nehmen oder trinkt zu wenig – wenn Angehörige oder Pflegekräfte hier ständig eingreifen müssen, ist das eine erhebliche Beeinträchtigung.
- Arztbesuche und Therapieorganisation werden nicht beachtet
- Wenn jemand nicht selbstständig Arzttermine vereinbaren oder Therapien organisieren kann, ist das ein wichtiges Kriterium im Modul 5.
- Beispiel: Eine Person ist kognitiv oder emotional nicht in der Lage, sich um Überweisungen, Verordnungen oder Medikamentenbestellungen zu kümmern.